von Petra Szag, Mitteldeutsche Zeitung
Der in Halle trainierende Lukas Dauser wird Zweiter am Barren. Was er seinen Kritikern sagt und wie Trainer Hubert Brylok seinen Schützling charakterisiert.
Tokio/Halle (Saale)/MZ - Trainer Hubert Brylok fiel seinem Turner als Erster um den Hals und gratulierte ganz ergriffen mit den Worten: „Schönes Ding!“. In diesem Augenblick wusste Lukas Dauser noch gar nicht, dass seine gerade gezeigte Barrenübung im Gerätefinale von Tokio den Juroren Silber wert war. Doch was der 28-Jährige sicher wusste: Er hat auf dem Punkt genau all das abrufen können, was er sich in seiner langen Turnkarriere antrainieren konnte. Das letzte Jahr davon ausschließlich in Halle.
„Den Bärenanteil“, das sagte der Bayer später im Olympiastudio im ZDF auf die Frage nach dem Vater seines Erfolges, „hat Hubert Brylok“, auch wenn er die Jahre zuvor in Berlin natürlich auch sehr viel mitbekommen habe. Ja, es hatte Stimmen gegeben, die davor warnten, so kurz vor den Spielen noch den Trainingsstandort und den Coach zu wechseln. Doch die Lust an seinem Sport und die Leidenschaft, das hat Tokio bestätigt, ist dadurch nur noch noch mehr befeuert worden. „Den Kritikern habe ich es gezeigt“, sagte Dauser, der sich selbst auch respektvoll gern mal als „Hubis Bube“ bezeichnet, glückselig.
Und sein Trainer, der Hallenser, der als Athlet 1984 durch den Boykott der DDR um sein ganz persönliches olympisches Erfolgserlebnis geprellt worden war? Brylok genoss die Arbeit bei den Spielen in vollen Zügen. „Natürlich bin ich ein bisschen aufgeregter als bei den Kreismeisterschaften in Merseburg“, sagte er augenzwinkernd, doch die Gesamtbelastung der vergangenen Vorbereitungswochen in Japan habe ihn da viel mehr gefordert. Der Wettkampf selbst bereite ihm einfach nur Freude. „Der Junge hat sich diese Medaille so irre verdient“, schwärmte Brylok über Dauser. „Lukas lebt jeden Tag für seinen Sport, er ist ein Vollprofi. Dieser Erfolg jetzt ist Lohn einer konstant harten Arbeit.“
Trainer Hubert Brylok brachte Lukas Dauser in Halle entscheidend nach vorne
Dausers Übung war tatsächlich nahezu perfekt, eine der besten, die er jemals gezeigt hat. „Wir haben vorher versucht, alles so zu machen wie beim Training in Halle“, erklärte Brylok, wie er den immensen Druck von seinem Schützling genommen hat.
Dauser hatte den Vorteil, als Letzter an das Gerät zu müssen. Das gab ihm die Chance zu taktieren. Und der Wahl-Hallenser entschied sich, seinen „Diamidow mit halber Drehung“ diesmal nicht zu zeigen. Statt mit einem Schwierigkeitsgrad von 6,8 versuchte er mit 6,7 das Feld von hinten aufzurollen. Bei der WM 2019 in Stuttgart hatte Dauser bei ebendiesem Element noch gepatzt und musste absteigen. Damit war die Medaille futsch. „Wir haben vorher besprochen, dass er das spontan selbst entscheiden soll, ob er das Element zeigt oder nicht“, erklärte Brylok.
Der am Ende Drittplatzierte Ferhat Arican aus der Türkei war vor Dauser ein extrem hohes Risiko eingegangen und für kleine Unsauberkeiten mit Punktabzug bestraft worden. Der Sportsoldat setzte dagegen auf Sicherheit und lag damit goldrichtig - oder besser gesagt silberrichtig. Nur der Chinese Zou Jingyan war noch besser. „Das Niveau dieser Konkurrenz war einfach Wahnsinn“, sagte Brylok. Und sein Turner hat es mitbestimmt.
Der auch im zivilen Leben akkurate Dauser verhinderte mit seinem Medaillengewinn zudem, dass der Deutsche Turner-Bund wie zuletzt bei den Spielen 2000 in Sydney leer ausgeht.