Von Andreas Frank, Mitteldeutsche Zeitung
Im Jahr 1934 (!) bestritt Johanna Quaas mit neun Jahren ihren ersten Wettkampf.
Sie ist zur unverzichtbaren Galionsfigur des Deutschen Turner-Bundes (DTB) geworden.
Quaas sollte Ehrengast beim Deutschen Turnfest im Mai 2021 sein - doch Corona machte einen Strich durch die Rechnung.
Halle (Saale)/SID -
Schon ihr giftgrünes T-Shirt ist ein echter Hingucker. Aber Johanna Quaas ist eben auch in Zeiten der Coronavirus-Pandemie die etwas andere Seniorin. Bändergymnastik am Bettpfosten, Dehnungsübungen auf der Matratze - die rüstige Hallenserin zeigt bei YouTube, wie man sich auch im hohen Alter fit und beweglich hält. Am Freitag wird sie 95 Jahre alt, größer gefeiert aber wird erst im Frühjahr 2021.
Halles Turn-Oma gibt Tipps für sportliche Aktivität während der Pandemie
„Nicht nur für die Corona-Risikogruppen ist es besonders wichtig, dass man schon am Morgen den Körper auf die Belastung des Alltags vorbereitet. Ich empfehle meine Mobilisationsgymnastik allen, die im Moment nicht in die Sporthalle gehen können“, sagt Quaas. Ergänzend setzt sie sich aber immer noch gern für ihr ganz persönliches Ausdauertraining auf ein Damenrad, zumindest in den Sommermonaten. Was die „Turn-Oma“, die noch völlig selbstständig lebt, aktuell drauf hat, sind für sie leichte und lockere Leibesübungen.
Denn längst ist Quaas als älteste Turnerin in die Sportgeschichte eingegangen. Im Jahr 1934 (!) bestritt sie mit neun Jahren ihren ersten Wettkampf. Erst 2018 musste sie das Turnpodium schweren Herzens verlassen - und unfreiwillig. Ein Riss der Bizepssehne im linken Arm - erlitten nicht etwa am Stufenbarren, sondern beim unglücklichen Hantieren mit dem Babystuhl ihrer Enkelin - erzwang das Ende ihrer Wettkampfkarriere.
Turn-Oma sollte Ehrengast beim Deutschen Turnfest im Mai 2021 sein
„Der Nippel wollte einfach nicht durch die Lasche“, kommentierte die agile Rentnerin seinerzeit ihr Missgeschick. Eine leichte Arthrose im linken Knie ist mittlerweile hinzugekommen. Das Mitgefühl der großen Turnfamilie war ihr sicher, denn Quaas ist auch dank ihrer freundlichen Bescheidenheit seit nahezu zwei Jahrzehnten eine unverzichtbare Galionsfigur des Deutschen Turner-Bundes (DTB).
Auch als Ehrengast beim Deutschen Turnfest im Mai 2021 in Leipzig war sie fest gebucht, ehe die Pandemie den DTB im Oktober zur Absage zwang. Zuletzt hatten 2017 in Berlin Tausende von Turnfestteilnehmern über die Begeisterung der unermüdlichen Sportlerin für Bewegung und Fitness gestaunt. Ihr sportlicher Ehrgeiz reichte und reicht aber auch über das Turnen hinaus.
Außergewöhnliches Leben und Leistungen
2016 absolvierte die damals 90-Jährige im Team mit dem ehemaligen Reck-Weltmeister Eberhard Gienger ihren ersten Tandem-Fallschirmsprung. Schon vor dieser spektakulären Mutprobe war Quaas weltweit in zahlreichen TV-Talkshows zu Gast. Auch in die International Gymnastics Hall of Fame in Oklahoma City wurde sie 2015 eingeladen. Und mit dem Sportsmanship Award ausgezeichnet - überreicht durch Namensgeberin Nadia Comaneci.
„Was Johanna geleistet hat, ist absolut außergewöhnlich. Für das Turnen, aber vor allem für ihr eigenes Leben“, sagte die wohl bekannteste Kunstturnerin der Welt bei ihrer Laudatio. Die so überschwänglich Geehrte, so wird es überliefert, soll bei diesen Worten einfach nur entspannt gelächelt haben.