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Der Herr der Ringe - Nick Klessing im Porträt


© DTB

Nick Klessing hätte auch als Kämpfer auf der Matte landen können. Als Kind war der Sohn einer Turnerin und eines Judoka zumindest erst einmal den Leidenschaften beider Eltern nachgegangen. Doch da gab es auf lokaler Ebene diesen einen Konkurrenten des gebürtigen Rodewischers, der ihm in der japanischen Sportart immer überlegen war. Laut dem heute 21-Jährigen war das der Grund dafür, dass er frühzeitig ganz auf die Geräte setzte.

Die Entscheidung hat Klessing, der dafür noch als Grundschüler an das Sportinternat nach Chemnitz wechselte, nie bereut. Auch wenn der Weg nach oben hart und steinig ist und Verletzungen ihn zurückwarfen. Doch der Sachse bringt einiges mit, das ihm hilft, ihn zu bewältigen: seine ausgezeichnete Sprungkraft und Schnelligkeit etwa, die eher geringe Körpergröße von nur 1,60 Metern oder auch sein Talent, bei Breitenachsendrehungen in der Luft den Überblick zu bewahren. Letzteres hat dem dynamischen Kraftpaket schon früh auch auf internationaler Ebene Aufmerksamkeit beschert. Der Ringespezialist beherrscht an diesem Gerät als Abgang den Dreifachsalto und damit ein Element, das weltweit eher selten gezeigt wird. Bei den Europäischen Jugendspielen 2015 in Tiflis hatte er es erstmals den Kampfrichtern präsentiert. Als Lohn für seinen damit abgeschlossenen Vortrag bekam er die Silbermedaille um den Hals gehängt. „Das“, sagt Klessing, „hat mich sehr gepusht.“


Bildquelle: picture alliance

Gold bei der JEM 2016 als krönender Abschluss der Junioren-Zeit

Dabei war es eigentlich eine Schwäche gewesen, die dazu führte, dass der 2013 nach Halle gewechselte Klessing den riskanten Übungsabschluss wagte. Denn andere Abgänge, so erklärt er, lagen ihm nicht. Entsprechend versuchte er es mit dem Triple und hatte Glück. Zum „Herrn der Ringe“ im Nachwuchsbereich kürte er sich endgültig, als er bei seinen zweiten Junioren-Europameisterschaften 2016 in Bern Gold gewann. Nie zuvor war dies einem deutschen Athleten bei den kontinentalen Titelkämpfen der Hoffnungsträger gelungen. „Man kann das nicht mit einem Sieg bei den Großen vergleichen“, sagt Klessing bescheiden. „Aber ich bin schon stolz auf diesen Erfolg.“

Es war der krönende Abschluss seiner Jugendzeit. Denn im Jahr danach stand für den deutschen Mehrkampfmeister seiner Altersklasse der Wechsel zu den Aktiven an. Dieser gelang ihm bestens: Gleich bei seinem ersten Vergleich mit den Männern sicherte der Debütant sich neben Bronze an den Ringen auch noch den nationalen Meistertitel am Sprung, seinem zweiten Paradegerät. „Es war erst mal  schwierig, sich da reinzufinden“, sagt Klessing trotzdem. Aber aufgrund seiner Stärken sieht er sich in der Nationalmannschaft und damit auch beim Blick auf die Weltmeisterschaften im Oktober in Stuttgart schon in einer wichtigen Rolle. Erfahrungen auf höchster Ebene bringt er bereits mit, stand bei der WM 2018 in Doha ebenso in der Riege des Deutschen Turner-Bundes (DTB) wie bei den Europameisterschaften im gleichen Jahr in Glasgow und 2019 in Stettin. Ein mögliches früheres Meisterschaftsdebüt in der Riege von Cheftrainer Andreas Hirsch hatte 2017 eine Verletzung bei der ersten WM-Qualifikation für Montréal in Stuttgart verhindert. Klessing brach sich beim Einturnen den linken Innenknöchel und zog sich einen Riss des Syndesmosebandes zu. Den Sprung, bei dem ihm das passierte, ein Kasamatsu mit eineinhalbfacher Schraube, meidet er seitdem, lässt die letzte halbe Längsachsendrehung sicherheitshalber weg. Bei der EM in diesem Jahr in Polen hatte er den Einzug ins Finale dennoch nur ganz knapp verfehlt. Für die Mannschaft, die in den vergangenen Jahren an diesem Gerät oft hinter der Konkurrenz abfiel, zählt aber sowieso nur der erste Versuch, und bei dem ragt Klessing mit einem gebückten Doppelsalto hervor.

Als Einzelkämpfer am Stützpunkt in Halle/Saale

Einen Abschied aus Halle, der ihm schon mehrfach nahegelegt worden war, lehnt der Turner von Trainer Hubert Brylok ab. „Ich fühle mich dort zu Hause“, betont er. Die Bedingungen seien super, auch wenn er nach dem Karriereende des früheren Boden-Europameisters Matthias Fahrig im heimischen Leistungszentrum auf seinem Niveau ein Einzelkämpfer ist. Doch er kommt gut damit zurecht, weiß die Individualität seiner Sportart sowieso zu schätzen und liebt die steten Grenzerfahrungen, die diese mit sich bringt.

Mittlerweile verbringt Klessing allerdings die letzten vier Monate des Jahres in der Sportschule Kienbaum. Das bringt die Ausbildung zum Bundespolizisten mit sich, die der Abiturient seit zwei Jahren absolviert. „Ich wollte nicht studieren“, erklärt er, sondern frühzeitig „etwas Festes für die Zukunft“ haben. Das hat er nun gefunden und gehört als erster Turner überhaupt zu der erlesenen Fördergruppe. „Ich bin sehr glücklich darüber“, sagt Klessing. Denn so kann er sich ganz in Ruhe und ohne Sorgen um ein späteres Auskommen auf den etwas anderen Kampf an den Geräten und auf der Matte konzentrieren: den, bei dem die Schwerkraft der Gegner ist.


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